In einem offenen Brief wenden sich 88 Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentarier an den belarussischen Aussenminister Makei und fordern die Freilassung von Natallia Hersche und der anderen mehr als 240 politischen Gefangenen in Belarus.
Am 16. Februar findet in Minsk die Berufungsverhandlung von Natallia Hersche statt. Die Schweizerisch-Belarussische Doppelbürgerin wurde am 7. Dezember 2020 in einem unfairen Gerichtsverfahren zu einer drakonischen Gefängnisstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten Haft verurteilt.
Barbara Gysi, St. Galler Nationalrätin, hat auf Anfrage der Deutsch-Schweizerischen Menschenrechtsorganisation Libereco eine Gefangenen-Patenschaft für Natallia Hersche übernommen und erklärt: “Natallia Hersche hat mit der Teilnahme an der Kundgebung lediglich ein demokratisches Recht wahrgenommen. Diese drakonische Strafe ist ungerecht und unmenschlich. Die Strafe muss aufgehoben und Natallia Hersche unverzüglich freigelassen werden.”
Nach Libereco vorliegenden Informationen sind inklusive Natallia Hersche in Belarus derzeit über 240 politische Gefangene inhaftiert. In über 70 Fällen wurden bereits Haftstrafen von insgesamt über 220 Jahren verhängt.
Im Vorfeld der Berufungsverhandlung wenden sich parteiübergreifend 83 Abgeordnete aus National- und Ständerat an den belarussischen Aussenminister Makei und fordern die Freilassung von Natallia Hersche und aller anderen politischen Gefangenen in Belarus. Der offene Brief wird von Parlamentariern aller Bundeshaus-Fraktionen getragen.
Den offenen Brief finden Sie hier als PDF-Version.
Offener Brief an den Aussenminister der Republik Belarus, Herrn Vladimir Makei
Sehr geehrter Aussenminister Makei
Am 16. Februar 2021 soll in Minsk die Berufungsverhandlung der Schweizer Staatsbürgerin Natallia Hersche stattfinden. Frau Hersche wurde am 19. September 2020 an einer friedlichen Frauen-Kundgebung in Minsk willkürlich festgenommen. Bei ihrer gewaltsamen Festnahme hatte sie nach eigener Aussage „in Todesangst“ einem maskierten Sicherheitsbeamten, der nicht als solcher gekennzeichnet war, die Maske vom Gesicht gezogen und ihn dabei gekratzt.
In erster Instanz wurde Natallia Hersche als Schweizerisch-Belarussische Doppelbürgerin am 7. Dezember 2020 eines Verbrechens nach Art. 363 des Belarussischen Strafgesetzbuches (Widerstand gegen einen Polizeibeamten) schuldig gesprochen und zu einer Gefängnisstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten Haft verurteilt.
Nach Einschätzung Belarussischer und Schweizer Menschenrechtsorganisationen, ist die Verfolgung von Natallia Hersche politisch motiviert und Frau Hersche als eine politische Gefangene zu betrachten. Wir schliessen uns dieser Einschätzung an und sind der Meinung, dass Natallia Hersche keine Straftat begangen hat, die eine Gefängnisstrafe rechtfertigen würde.
Denn der spontane Protest, an dem sie teilgenommen hatte, war ausschliesslich friedlich. Ein solcher Protest muss von den belarussischen Behörden gemäss Paragraph 131 der OSZE-Leitlinien über die Freiheit der friedlichen Versammlung geschützt werden. Das Festhalten der Teilnehmerinnen der friedlichen Versammlung durch Angehörige des belarussischen Innenministeriums ging weit über die staatliche „Verpflichtung zum Schutz der öffentlichen Ordnung“ hinaus und hat damit die internationalen OSZE-Standards verletzt.
Der erstinstanzliche Prozess gegen Natallia Hersche hat unter Verletzung der Grundsätze eines fairen Verfahrens stattgefunden. Die Verletzung eines Polizeibeamten durch Kratzer im Gesicht ist als fahrlässig zu betrachten und ist nicht in diesem Masse strafbar. Die verhängte Haftstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten Gefängnis steht in keinem Verhältnis zu dem Vergehen, für das Frau Hersche für schuldig befunden wurde. Gerade im Vergleich mit anderen ähnlichen Fällen wird offensichtlich, dass das erstinstanzliche Urteil politisch motiviert ist.
Wir fordern Sie deshalb dazu auf dafür Sorge zu tragen, dass die Berufungsverhandlung von Natallia Hersche frei von politischen Motiven sondern nach internationalen Standards eines fairen Gerichtsverfahrens durchgeführt wird. Mit der Berufsverhandlung haben die belarussischen Behörden nun die Möglichkeit, das erstinstanzliche unrechtmässige Urteil zu widerrufen und die Haftstrafe in eine Geldstrafe umzuwandeln.
Wir fordern Sie in Ihrer Funktion als amtierender Aussenminister der Republik Belarus dazu auf, sicherzustellen, dass Natallia Hersche spätestens nach der Verkündigung des Urteils der Berufungsinstanz freigelassen wird. Als Schweizer Staatsbürgerin muss Frau Hersche eine unverzügliche Rückkehr in die Schweiz ermöglicht werden.
Mit grosser Bestürzung haben wir in den vergangenen Monaten von mehr als 33’000 Festnahmen belarussischer Bürgerinnen und Bürger und von Berichten hunderter Opfer von Misshandlung und Folter durch belarussische Sicherheitskräfte erfahren. Wir fordern Sie und alle staatlichen Stellen der Republik Belarus dazu auf, die Einschüchterung, Verfolgung und Inhaftierung von friedlichen Demonstranten, Oppositionellen, Menschenrechtsaktivistinnen, Studierenden und Medienvertretern umgehend zu beenden.
Die Inhaftierung politischer Gefangener und die Verfolgung politisch Andersdenkender sind schwere Verletzungen der Menschenrechte, zu deren Einhaltung sich Belarus als Vertragsstaat des Internationalen Pakts über Bürgerliche und Politische Rechte verpflichtet hat. Wir möchten Sie an diese internationalen Verpflichtungen Ihres Landes erinnern und fordern Sie dazu auf sicherzustellen, dass die fundamentalen Menschenrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit allen Menschen in Belarus ohne Einschränkungen gewährt werden.
Die Inhaftierung von Natallia Hersche und von mehr als 240 weiteren politischen Gefangenen stellt eine schwere Belastung der aussenpolitischen Beziehungen zwischen der Schweiz und Belarus dar. Für eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen ist es unerlässlich, dass die belarussischen Behörden Natallia Hersche und alle anderen politischen Gefangenen freilassen!
Als Mitglieder der Schweizer Nationalrates und Ständerates stehen wir fest an der Seite aller Menschen, die sich in Belarus für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit engagieren und protestieren.
Hochachtungsvoll
Barbara Gysi, Nationalrätin, Kanton St. Gallen
Claudia Friedl, Nationalrätin, Kanton St. Gallen
Franziska Ryser, Nationalrätin, Kanton St. Gallen
Nicolo Paganini, Nationalrat, Kanton St. Gallen
Thomas Brunner, Nationalrat, Kanton St. Gallen
Benedikt Würth, Ständerat, Kanton St. Gallen
Paul Rechsteiner, Ständerat, Kanton St. Gallen
Beat Flach, Nationalrat, Kanton Aargau
Cédric Wermuth, Nationalrat, Kanton Aargau
Gabriela Suter, Nationalrätin, Kanton Aargau
Lilian Studer, Nationalrätin, Kanton Aargau
Marianne Binder-Keller, Nationalrätin, Kanton Aargau
Daniel Fässler, Ständerat, Kanton Appenzell I.-Rh.
Eric Nussbaumer, Nationalrat, Kanton Basel-Landschaft
Samira Marti, Nationalrätin, Kanton Basel-Landschaft
Maya Graf, Ständeratin, Kanton Basel-Landschaft
Florence Brenzikofer, Nationalrätin, Kanton Basel-Stadt
Mustafa Atici, Nationalrat, Kanton Basel-Stadt
Sibel Arslan, Nationalrätin, Kanton Basel-Stadt
Eva Herzog, Ständerätin, Kanton Basel-Stadt
Christa Markwalder, Nationalrätin, Kanton Bern
Christine Badertscher, Nationalrätin, Kanton Bern
Lorenz Hess, Nationalrat, Kanton Bern
Marianne Streiff-Feller, Nationalrätin, Kanton Bern
Regula Rytz, Nationalrätin, Kanton Bern
Tamara Funiciello, Nationalrätin, Kanton Bern
Hans Stöckli, Ständerat, Kanton Bern
Christian Levrat, Ständerat, Kanton Freiburg
Marie-France Roth Pasquier, Nationalrätin, Kanton Freiburg
Ursula Schneider Schüttel, Nationalrätin, Kanton Freiburg
Christian Dandrès, Nationalrat, Kanton Genf
Delphine Klopfenstein Broggini, Nationalrätin, Kanton Genf
Isabelle Pasquier-Eichenberger, Nationalrätin, Kanton Genf
Laurence Fehlmann Rielle, Nationalrätin, Kanton Genf
Michel Matter, Nationalrat, Kanton Genf
Stefania Prezioso Batou, Nationalrätin, Kanton Genf
Nicolas Walder, Nationalrat, Kanton Genf
Carlo Sommaruga, Ständerat, Kanton Genf
Lisa Mazzone, Ständerätin, Kanton Genf
Jon Pult, Nationalrat, Kanton Graubünden
Sandra Locher Benguerel, Nationalrätin, Kanton Graubünden
Elisabeth Baume-Schneider, Nationalrätin, Kanton Jura
Charles Juillard, Ständerat, Kanton Jura
Pierre-Alain Fridez, Nationalrat, Kanton Jura
Michael Töngi, Nationalrat, Kanton Luzern
Prisca Birrer-Heimo, Nationalrätin, Kanton Luzern
Damien Cottier, Nationalrat, Kanton Neuenburg
Fabien Fivaz, Nationalrat, Kanton Neuenburg
Philippe Bauer, Ständerat, Kanton Neuenburg
Erich Ettlin, Ständerat, Kanton Obwalden
Martina Munz, Nationalrätin, Kanton Schaffhausen
Felix Wettstein. Nationalrat, Kanton Solothurn
Franziska Roth, Nationalrätin, Kanton Solothurn
Roberto Zanetti, Ständerat, Kanton Solothurn
Stefan Müller-Altermatt, Nationalrat, Kanton Solothurn
Bruno Storni, Nationalrat, Kanton Tessin
Greta Gysin, Nationalrätin, Kanton Tessin
Rocco Cattaneo, Nationalrat, Kanton Tessin
Marina Carobbio, Ständerätin, Kanton Tessin
Jakob Stark, Ständerat, Kanton Thurgau
Ada Marra, Nationalrätin, Kanton Waadt
Brigitte Crottaz, Nationalrätin, Kanton Waadt
Daniel Brélaz, Nationalrat, Kanton Waadt
François Pointet, Nationalrat, Kanton Waadt
Isabelle Moret, Nationalrätin, Kanton Waadt
Jean-Pierre Grin, Nationalrat, Kanton Waadt
Laurent Wehrli, Nationalrat, Kanton Waadt
Pierre-Yves Maillard, Nationalrat, Kanton Waadt
Roger Nordmann, Nationalrat, Kanton Waadt
Samuel Bendahan, Nationalrat, Kanton Waadt
Sophie Michaud Gigon, Nationalrätin, Kanton Waadt
Valentine Python, Nationalrätin, Kanton Waadt
Olivier Français, Ständerat, Kanton Waadt
Benjamin Roduit, Nationalrat, Kanton Wallis
Manuela Weichelt-Picard, Nationalrätin Kanton Zug
Matthias Michel, Ständerat, Kanton Zug
Balthasar Glättli, Nationalrat, Kanton Zürich
Barbara Schaffner, Nationalrätin, Kanton Zürich
Céline Widmer, Nationalrätin, Kanton Zürich
Corina Gredig, Nationalrätin, Kanton Zürich
Doris Fiala, Nationalrätin, Kanton Zürich
Fabian Molina, Nationalrat, Kanton Zürich
Katharina Prelicz-Huber, Nationalrätin, Kanton Zürich
Martin Haab, Nationalrat, Kanton Zürich
Mattea Meyer, Nationalrätin, Kanton Zürich
Meret Schneider, Nationalrätin, Kanton Zürich
Min Li Marti, Nationalrätin, Kanton Zürich
Priska Seiler Graf, Nationalrätin, Kanton Zürich
Bern, 10.Februar 2021