Mit Hungerstreiks protestieren politische Gefangene in Belarus gegen unmenschliche Haftbedingungen. Zwei der Inhaftierten haben in den vergangenen Wochen versucht, sich das Leben zu nehmen. 

Derzeit befinden sich in den belarussischen Gefängnissen fast 300 politische Gefangene, ihre Zahl steigt ständig. Oft ist ihr Leben hinter Gittern von unmenschlichen Bedingungen bestimmt: überfüllte Zellen, schlechte sanitäre Bedingungen, Gewalt durch die Gefängniswärter und sogar systematische Folter. Politische Nachrichten von außen und eine trübe Zukunftsperspektive führen zu Frustration und Verzweiflung. Einige Gefangene greifen zum einzigen Mittel, das ihnen bleibt, um ihren Protest gegen ihre Inhaftierung zum Ausdruck zu bringen: ihren eigenen Körper.

Rasmus Andresen

Igor Bancer befindet sich seit dem 3. März im Hungerstreik, um gegen seine willkürliche Inhaftierung zu protestieren. Der Musiker ist eine vitale Person der osteuropäischen Punkszene und setzte sich stark für die Demokratiebewegung in Belarus ein. Er war sehr aktiv darin, Brücken zwischen den europäischen Subkulturen zu bauen – er spielte Konzerte in ganz Europa und lud Bands aus Deutschland, Italien und anderen Teilen Europas ein, in Belarus zu spielen. Von der Polizei wegen seines langjährigen politischen Aktivismus schikaniert, wurde er im Oktober 2020 wegen einer provokativen Tanzperformance verhaftet und des Rowdytums beschuldigt. Über den aktuellen Gesundheitszustand von Igor Bancer liegen keine näheren Informationen vor.

Rasmus Andresen, Abgeordneter von Bündnis90 / Die Grünen im Europäischen Parlament, hat in dieser Woche die Gefangenen-Patenschaft für Igor Bancer übernommen und erklärte dazu: “Ich fordere die Freilassung des Musikers und Aktivisten Igor Bancer aus politischer Gefangenschaft in Belarus. Er ist seit dem 3. März im Hungerstreik. Igor hatte anfangs einen trockenen Hungerstreik angekündigt, was den Verzicht auf Nahrung und Wasser bedeutet. Ein solcher trockener Hungerstreik lässt sich jedoch nur wenige Tage durchhalten. Er würde bis zum Ende gehen, hat er angekündigt. 14 Tage nach Beginn des Hungerstreiks von Igor machen wir uns sehr grosse Sorgen um sein Überleben. Die belarusischen Behörden müssen seine Familie und die Öffentlichkeit umgehend über seinen Gesundheitszustand informieren. Er darf nicht im Gefängnis sterben, wo er zu Unrecht ist, weil er sich für Demokratie und Menschenrechte engagiert hat. Free Igor Bancer.“

Update 19. März: Igor Bancer wurde aus dem Gefängnis entlassen. Ein Gericht verurteilte ihn zu 1,5 Jahren Strafarbeit („Chimija“). Bis zu seiner Berufungsverhandlung ist er frei, darf Belarus aber nicht verlassen.

Dzmitry Furmanau war Mitglied des Wahlkampfteams der Präsidentschaftskandidatin Sviatlana Tsikhanouskaya. Er wurde im Mai 2020 verhaftet und ist angeklagt, Aktionen organisiert zu haben, die die öffentliche Ordnung grob verletzen. Während einer Gerichtsanhörung am 11. März kündigte er an, in einen Hungerstreik zu treten, um gegen seine Haftbedingungen zu protestieren. Auch die Freundin und die Mutter von Dzmitry Furmanau, die im Exil leben, waren aus Solidarität mit ihm in Hungerstreik getreten. Heute wurde bekannt, dass Dzmitry Furmanau seinen Hungerstreik beendet hat.

Erik Marquardt

Der Europaabgeordnete von Bündnis 90 / Die Grünen, Erik Marquardt, hat im Juli 2020 die Gefangenen-Patenschaft für Dzmitry Furmanau übernommen. Er erklärt: “Es ist erschreckend, dass politische Gefangene mitten in Europa keinen anderen Ausweg sehen, als in den Hungerstreik zu treten. Dzmitry Furmanau ist seit über 9 Monaten in Haft und sein einziges Verbrechen ist, dass er für die Opposition in Belarus Unterschriften gesammelt hat. Die Haftbedingungen der Gefangenen sind menschenunwürdig, durch gezielte Schikane soll die demokratische Opposition eingeschüchtert werden.”

Der bekannte Blogger Ihar Losik ist seit Juni 2020 inhaftiert. Im Dezember und Januar befand er sich in einem sechswöchigen Hungerstreik. Als am 11. März neue Anschuldigungen gegen ihn erhoben wurden, schlitzte er sich die Pulsadern auf und trat erneut in einen trockenen Hungerstreik, den er am 15. März wieder beendete.

Manuel Sarrazin

Manuel Sarrazin, Bundestagsabgeordneter und Sprecher für Osteuropapolitik von Bündnis 90 / Die Grünen, hat im Juli 2020 die Gefangenen-Patenschaft von Ihar Losik übernommen und erklärte: „Ihar Losik ist unschuldig und muss wie alle anderen politischen Gefangenen endlich freigelassen werden. Ihar bezahlt seit über acht Monaten einen hohen Preis für seinen mutigen Kampf für Demokratie und Menschenrechte in Belarus. Ihm und der gesamten belarusischen Demokratiebewegung gelten meine Solidarität und volle Unterstützung. Der Druck auf Diktator Lukaschenko muss erhöht und weitere Sanktionen, auch gegen staatliche Unternehmen, seitens der EU beschlossen werden.“  

Der Blogger Siarhei Piatrukhin aus Brest betrieb zwei Youtube-Kanäle, auf denen er hauptsächlich über Themen wie Korruption oder illegale Polizeiaktivitäten berichtete. Er befindet sich bereits seit Juni 2020 in Haft und ist angeklagt, Aktionen organisiert zu haben, die die öffentliche Ordnung grob verletzen. Am 27. Februar versuchte er, sich die Pulsadern aufzuschneiden, um gegen seine Verlegung in eine Zelle mit schlechten sanitären Bedingungen zu protestieren. Seitdem ist er in einer Strafzelle mit noch schlechteren hygienischen Bedingungen inhaftiert.

Omid Nouripour

Omid Nouripour, Bundestagsabgeordneter und Sprecher für Außenpolitik von Bündnis 90 / Die Grünen, hat im September 2020 die Gefangenen-Patenschaft für Siarhei Piatrukhin übernommen und erklärt: ”Siarhei Piatrukhin hat sich im Februar im Gefängnis von Mogilev durch Aufschneiden von Venen selbst verkrüppelt. Er hatte gegen die schlechten Bedingungen in seiner Zelle protestiert, was dazu führte, dass er in einen Haftraum – ‚Karzer‘ – verlegt wurde, ein enger Raum, in dem man nur stehen oder sitzen kann, mit kahlen Betonwänden und Decken, kalt und feucht. Das Verhalten der weißrussischen Exekutive ist ein grober Verstoß gegen die UN-Standard-Mindestregeln für die Behandlung von Gefangenen und gegen andere Menschenrechtsstandards. Die Anklage gegen Siarhei Piatrukhin und seinen Kollegen ist politisch motiviert. Der Prozess hält den rechtsstaatlichen Standards, zu denen sich der Staat Belarus verpflichtet hat, nicht stand. Ich fordere die sofortige Freilassung von Siarhei Piatrukhin und aller anderen 290 politischen Gefangenen. Das Lukaschenko-Regime muss zurücktreten. Es gibt keine Zukunft und keine Legitimität für seine repressive Autorität über die Menschen in Belarus.”