Unternehmen aus westlichen Ländern schalten 6 von 10 Werbespots in belarusischen Propaganda-Fernsehsendern, in deren Sendungen Regimegegnern mit dem Tod gedroht wird. Deutsche Unternehmen wie Henkel und US-Konzerne wie Mars und Procter & Gamble werben am meisten, wie eine aktuelle Erhebung zeigt.

Die Nichtregierungsorganisationen Libereco – Partnership for Human Rights und Professional Union of Belarusians in Britain (PUBB) haben einen neuen Bericht zur Werbung auf den wichtigsten staatlichen Fernsehkanälen von Machthaber Alexander Lukaschenko veröffentlicht. Unabhängige belarusische Beobachter hatten die Werbepausen der drei staatlichen Fernsehsender Belarus 1, ONT und CTV vom 15. bis 21. November (jeweils von 19 bis 22 Uhr) ausgewertet.

Das Ergebnis: Von insgesamt 960 Werbespots wurden 56 Prozent von westlichen Unternehmen geschaltet. Im Vergleich dazu schalteten belarusische Unternehmen nur 30 Prozent aller Spots. Auf Unternehmen aus Russland, der Ukraine, Indien, Südkorea und einigen anderen Ländern entfielen die restlichen 14 Prozent der Werbespots.

Jeder dritte Werbespot stammte von Unternehmen aus EU-Ländern, unter denen Deutschland mit der Hälfte aller Spots den mit Abstand größten Anteil hatte. 18 Prozent der Werbespots wurden von amerikanischen Unternehmen geschaltet werden, 4 Prozent entfielen auf britische und 3 Prozent auf Schweizer Unternehmen.

Auch deutsche Unternehmen finanzieren Lukaschenkos Propaganda-TV

„Wir sind sehr schockiert, dass vor allem deutsche Unternehmen trotz der zahlreichen und gut dokumentierten Menschenrechtsverletzungen in Belarus ungebrochen Lukaschenkos TV-Sender mit Werbegeldern finanzieren. Unmittelbar vor und nach propagandistischen Nachrichtensendungen und im Umfeld agitatorischer Hetzsendungen, in denen Regimekritikern buchstäblich die schmutzige Wäsche gewaschen wird, schaltet Henkel Werbung für Waschmittel. Und während die medizinische Versorgung der derzeit über 900 politischen Gefangenen völlig unzureichend ist, werden Werbespots deutscher Pharmaunternehmen für Arzneimittel gezeigt. Dieses moralisch äußerst fragwürdige Werbeengagement muss sofort gestoppt werden. Ich bin es leid, mir länger die Ausreden all dieser werbenden Unternehmen anzuhören“, sagt Marco Fieber, Vorsitzender der deutschen Sektion von Libereco.

Die meisten Werbespots werden von Mars (61, USA), Procter & Gamble (51, USA), Henkel (47, Deutschland) und Sanofi (45, Frankreich) geschaltet. Es folgen Queisser Pharma (30, Deutschland), Grindeks (28, Lettland), Colgate-Palmolive (27, USA), PepsiCo (25, USA), Dr. Theiss Naturwaren (23, Deutschland) und Sandoz (22, Schweiz). Zusätzlich zu diesen zehn größten Unternehmen haben 17 andere westliche Firmen – darunter GlaxoSmithKline (UK), Jacobs (Niederlande), A1 (Österreich) und Danone (Frankreich) – weitere 180 Werbespots geschaltet.


Einige Unternehmen haben Anzahl ihrer Werbespots reduziert

Im Gegensatz zum ersten Beobachtungszeitraum im Juli wurden im November keine Werbespots von Carlsberg (Dänemark) und L’Oreal (Frankreich) mehr beobachtet. Der Schweizer Lebensmittelgigant Nestlé reduzierte seine Werbung deutlich von einem Anteil von 9 Prozent im Juli auf 0,4 Prozent im November. In ähnlicher Weise sank der Anteil der Werbung von Coca Cola von 4 Prozent im Juli auf 0,2 Prozent im November.

„Natürlich begrüßen wir die Tatsache, dass einzelne westliche Unternehmen ihre Werbung im belarusischen Staatsfernsehen stark reduziert oder vielleicht sogar eingestellt haben. Aber das reicht bei weitem nicht aus! Alle westlichen Unternehmen sollten ihre Werbung auf Lukaschenkos Propagandakanälen sofort und vollständig einstellen, um sich nicht mitschuldig zu machen an der Finanzierung der im Fernsehen offen ausgesprochenen Morddrohungen gegen Kritiker des belarusischen Regimes. Nach Nestlé, das die Anzahl seiner Werbespots deutlich reduziert hat, sehen wir nun insbesondere Sandoz als zweites Schweizer Unternehmen in der besonderen Verantwortung, keine Werbung mehr in den staatlichen Medien von Belarus zu schalten“, erklärt Lars Bünger, Präsident der Schweizer Sektion von Libereco.

Im staatlichen Fernsehsender CTV werden Oppositionelle, Vertreter der Zivilgesellschaft und Regimegegner in der wöchentlichen Hasssendung „Der Judas-Orden“ von Moderator Grigory Azarenok vorgeführt, beleidigt und bedroht. Das führte zu direkten Todesdrohungen, wenn etwa ein Galgenstrick neben den Köpfen der angeblichen Volksfeinde gezeigt wird.

Belarusische Diaspora kündigt Proteste an

Darüber hinaus werden politische Gefangene immer wieder unter Misshandlung und Folter gezwungen, ihre angebliche Schuld im belarusischen Staatsfernsehen zu gestehen. Prominentestes Beispiel dafür ist der Blogger und Regierungskritiker Raman Pratasewitsch, der gezwungen wurde, im Staatsfernsehen ein Interview zu geben und auf einer inszenierten Pressekonferenz zu sprechen. Zuvor hatte das belarusische Regime ein Ryanair-Flugzeug gewaltsam in Minsk landen lassen, um den prominenten Aktivisten und seine Freundin zu verhaften.

Im Zuge der von Lukaschenko selbst angeheizten Flüchtlingskrise an der belarusischen Grenze zu Polen verbreitet das belarusische Staatsfernsehen gezielt Falschinformationen. Polen und die Europäische Union werden durchweg als unmenschlich und aggressiv dargestellt, während Belarus als humanitärer Akteur gezeigt wird.

Die Professional Union of Belarusians in Britain (PUBB) erklärt: „Es ist schockierend zu sehen, dass das britische Unternehmen GSK trotz seiner bekräftigten Menschenrechtsverpflichtungen und selbst geschriebenen Richtlinien seine Zusammenarbeit mit dem Propagandawerkzeug des terroristischen Regimes in Belarus intensiviert hat. GSK und alle seriösen Unternehmen sollten aufhören, das illegitime und kriminelle Regime in Belarus zu unterstützen, wie es etwa Nivea oder Skoda bereits getan haben, als sie ihr Sponsoring für die in Minsk geplante Eishockey-Weltmeisterschaft zurückzogen. Die belarusische Diaspora in Großbritannien wird Proteste vor dem GSK-Hauptsitz abhalten und weitere Medienkampagnen organisieren, solange die derzeitige inakzeptable Situation anhält.“

Transparenz-Hinweis:

Im am 6.12.2021 veröffentlichen Monitoring sind uns leider zwei Fehler unterlaufen:
– 19 Werbespots wurden fälschlicherweise dem deutschen Unternehmen ESTEL Europe zugeordnet, das jedoch eine Tochterfirma eines russischen Mutterkonzerns ist.
2 Werbespots wurden fälschlicherweise dem belgischen Unternehmen Solvay zugeordnet, gehören jedoch zum US-amerikanischen Abbott-Konzern.

Wir haben beide Fehler korrigiert und die Zahlen im Text und in den Grafiken entsprechend angepasst.